Politikverdrossenheit in Deutschland. Fehlt den Politikern hierzulande der Glamour? Medienexperte Michael Rossié weiß, woran es hapert.
Die Politikverdrossenheit in Deutschland wird zum Dauerthema. Die SPD hat 2008 rund 20.000 Mitglieder verloren, die CDU etwa 15.000 Mitglieder. Währenddessen drängten etwa 200.000 Zuhörer vor die Siegessäule in Berlin, um Barack Obama sprechen zu hören. Verkaufen sich deutsche Politiker schlechter als andere? Diese Frage stellten wir dem Münchner Medienexperten Michael Rossié. Er bereitet seit 25 Jahren Politiker und Unternehmer auf Fernsehauftritte vor.
VANITYFAIR.DE:
Sie haben schon viele Politiker trainiert. Haben wir in Deutschland derzeit keine geeigneten Persönlichkeiten, die die Menschen für sich begeistern können?
Michael Rossié:
Nein, eine Phase der selbstbewussten Politiker, die die Massen bewegen, sehe ich im Moment nicht. Wir hatten einen Herrn Brandt, einen Herrn Strauß, einen Herrn Wehner, einen Herren Scheel. Redner, die fasziniert haben, denen man gerne zugehört hat und die eine authentische Körpersprache hatten. Wenn ich mir dagegen Herrn Glos oder Herrn Westerwelle ansehe oder Frau Merkel, muss sich sagen: Das ist eine ganz andere Liga - zumindest, was die Rhetorik angeht.
VANITYFAIR.DE:
Obamas Rede in Berlin ist von allen Seiten gelobt worden. Hat es der amerikanische Präsidentschaftskandidat aus Ihrer Sicht geschafft, die Herzen der Deutschen zu erobern?
Michael Rossié:
Das zu behaupten, wäre übertrieben. Seine Zuschauer waren nicht etwa skeptisch und er musste sie mit seiner Rede überzeugen. Im Gegenteil, eine Menge Leute mochten ihn schon vorher. Sicher weil sie dachten, der ist cool, der ist mal was anderes. Dabei haben viele vergessen, dass Obama politisch schon die erste Kehrtwende hinter sich hat. So liberal wie er zunächst schien, ist er nicht. Das Witzige ist aber: Wenn jemand das Herz eines Menschen einmal gefangen hat, will dieser Mensch den Politiker auch gut finden. Obama ist darüber hinaus extrem geschickt vorgegangen: Er hat seinen persönlichen Werdegang betont. Er hat mit fester Stimme gesprochen und er hat rhetorisch eine ganze Menge richtig gemacht. Davon könnten sich deutsche Politiker eine Scheibe abschneiden.
VANITYFAIR.DE:
Mit welchen rhetorischen Tricks hat Barack Obama gearbeitet?
Michael Rossié:
Obama hat zunächst das Publikum gelobt, Lob zieht immer. Er hat die Berliner persönlich angesprochen und hat betont, was die deutsche Hauptstadt für eine Symbolik hat. Zudem hat er mit Insiderwissen geglänzt, als er sagte, wir seien hier im Bezirk Tiergarten und nicht etwa an der Siegessäule. Da sagt sich ein Berliner: Mein Gott, da weiß der in Amerika, dass das hier der Bezirk Tiergarten ist. Die Luftbrücke hat in Obamas Rede auch nicht in Berlin, nein, sie hat in Tempelhof stattgefunden. Außerdem hatte er zwei Teleprompter. Ich wüsste in Deutschland keinen Politiker, der mit mehr als einem Teleprompter arbeitet. Und ich wüsste auch keinen, der damit umgehen kann. Die Geräte waren so geschickt aufgestellt, dass ich davon überzeugt bin, dass 95 Prozent der Menschen sie gar nicht bemerkt haben. Wie frei der Mann reden kann, denken sich die Leute, wahnsinn. Obama hat in seiner Rede auch gekonnt das Tempo gewechselt, wurde immer schneller und eindringlicher. Er hat eine ganz andere Geschwindigkeit als deutsche Politiker. Deutsche Politiker beschweren jeden Satz mit Blei, weil angeblich alles, was sie sagen furchtbar wichtig ist. Dadurch entsteht ein belehrender Unterton, und was sie sagen, wirkt nahezu einschläfernd.
VANITYFAIR.DE:
Was hat Barack Obama, was Angela Merkel nicht hat?
Michael Rossié:
Obama hat einen sehr viel selbstbewussteren Auftritt als Frau Merkel am Anfang. Aber sie hat dazugelernt. Obama bringt sein Lächeln und seine winkende Hand ins Spiel. Frau Merkel zeigt ihr Dekolleté und hat schicke Klamotten an. Auf eine Weise nutzt sie die gleichen Mechanismen wie Obama, aber auf ihre Art. Ich würde sagen, clever gemacht: Bei jedem wichtigen Fußballspiel ist Frau Merkel auf der Tribüne. Wenn ein Königshaus einlädt, ist Frau Merkel ist zu sehen, Frau Merkel ist in Bayreuth zu sehen. Da spielt sie eine gesellschaftliche Rolle. Ich will nicht sagen, das hat sie abgeguckt bei Herrn Obama. Aber so würden das die Amerikaner auch machen.
VANITYFAIR.DE:
Warum konnte Merkel über ihren Schatten springen und Obama einen glamourösen Empfang bereiten?
Michael Rossié:
Was heißt über ihren Schatten springen? Das hat gleich so einen negativen Unterton. Gehen wir doch einfach mal davon aus, sie wollte es nicht. Etwa, weil sie einem Kandidaten kein Forum bieten wollte, das man normalerweise einem Präsidenten bietet. Die Botschaft für die Deutschen war: Frau Merkel hat sich durchgesetzt, offensichtlich hat die Kanzlerin etwas zu sagen. Innenpolitisch hat sie das Signal gesetzt "hr könnt an dieser Tür kratzen und Bitte, bitte sagen, bestimmen tue ich."
VANITYFAIR.DE:
Sie hatten erwähnt, dass Frau Merkel ihre Tricks und Mittelchen hat, um sich in Szene zu setzen. Die Kanzlerin ist immerhin drei Jahre im Amt. Wie hat sich aus Ihrer Sicht ihre Darstellung in den Medien verändert?
Michael Rossié:
Der Wendepunkt kam, als Frau Merkel bemerkt hat, dass sie erfolgreich ist und bei den Wählern ankommt. Wenn ich merke, die Umfragen sind gut, schaue ich anders als wenn ich merke, die Umfragen sind schlecht. Bei Herrn Beck, Herrn Huber und Herrn Beckstein sind die Umfragen schlecht. Und sie schauen auch so, als ginge es bergab. In der Wahlnacht, als Frau Merkel in der Elefantenrunde saß und Herr Schröder sich aufgeplustert hat, hat sie ein ganz verbiestertes, trauriges, geschlagenes Gesicht gemacht. Und mit zunehmendem Erfolg, zunehmender Sicherheit ist sie souveräner, selbstbewusster geworden, bis sie sogar ihr Dekolleté zeigte und in schicken Kleidern auftrat. Wenn ein Politiker Rückenwind hat, kann man es an seinem Gesichtsausdruck ablesen.
VANITYFAIR.DE:
Wenn ich Sie richtig verstanden habe, wirkt Frau Merkel in manchen Situationen gefühlskalt.
Michael Rossié:
Mit dem Begriff "kalt" wäre ich vorsichtig. Wenn Sie schönen Frauen in der Stadt begegnen, wirken die auch oft "kalt". Sie sagen sich, wenn sie ständig in der Gegend herumlächeln, kann ihnen das als Schwäche ausgelegt werden, und prompt haben sie einen Stalker am Hals. "Kalt" kann auch heißen: "Lass mich meine Arbeit machen. Ich muss nicht immer in die Kamera lächeln. Ich muss nicht immer Everybody's Darling sein." Das trifft auf Frau Merkel genauso zu.
VANITYFAIR.DE:
Merkel und Steinmeier führen derzeit die Beliebtheitsskala in Deutschland. Sie beide wirken offen gestanden ziemlich nüchtern. Kann es sein, dass auffallend charismatische Politiker in Deutschland nicht mehr gefragt sind?
Michael Rossié:
Nein, ich würde durchaus behaupten, dass Angela Merkel Charisma hat, und auch Herr Steinmeier hat es auf seine ruhige, bedächtige Art. Ebenso Herr Steinbrück, er ist manchmal ein bisschen zu scharf, zu arrogant, zu selbstbewusst. Aber er wirkt echt. Von Herrn Gysi kann man politisch halten, was man möchte, was seine Rhetorik betrifft, bräuchten wir in Deutschland mehr von seiner Sorte. Auch Oskar Lafontaine ist ein gutes Beispiel: Wenn er sich für eine Talkshow im Fernsehen ankündigt, schalten gleich ein paar hunderttausend Zuschauer mehr ein. Authentisch und sehr sympathisch kommt derzeit Peter Struck rüber. Er ist ein gutes Beispiel dafür, dass sich ein Politiker treu bleibt, obwohl er Minister ist. Authentizität ist ein entscheidender Faktor für die Beliebtheit bei anderen.
VANITYFAIR.DE:
Verglichen mit Barack Obama in den USA oder etwa Nicolas Sarkozy in Frankreich: Fehlt den deutschen Politikern der Glamour?
Michael Rossié:
Im Moment ist der Glamour-Faktor eher geringer. Das heißt aber nicht, dass der nicht morgen kommen könnte. Mit Frau Pauli hatten wir ein Theater, bei dem für Glamour gesorgt war. Eine Politikerin in Lack und Leder in einer Zeitschrift - besser geht es nicht. Sicher, die Frau von Herrn Köhler ist nicht auf dem Glamour-Parkett zuhause wie eine Carla Bruni. Aber dennoch ist sie weitaus mehr als Politikerfrau im Hintergrund. Auch die Frau von Roman Herzog war präsent in den Medien, oder denken Sie nur an Hannelore Kohl. Was Tratsch und Klatsch betrifft, muss sich nur die passende Gelegenheit bieten. Wer kann sich nicht erinnern an Rudolf Scharping im Swimming-Pool oder an die Briefe von Hillu Schröder an ihren Mann?
VANITYFAIR.DE:
TV-Duelle wie etwa die Kanzlerduelle waren jedenfalls vor zehn Jahren noch undenkbar. Sie selbst bereiten Politiker seit 20 Jahren auf Fernsehauftritte vor. Können Sie aus Ihrer Erfahrung sagen, dass die Nachfrage der Politiker nach professionellen Medienberatern hierzulande gestiegen ist?
Michael Rossié:
Ja, das Interesse von deutschen Politikern an Medien-, Kamera- und Fernsehtrainings ist eindeutig gestiegen. Jeder Politiker hat inzwischen begriffen, dass auch das kleinste Interview beim kleinsten Radiosender unter Umständen hundert bis 200.000 Menschen erreicht. Aus Untersuchungen wissen wir zudem, dass das, was jemand sagt, gar nicht entscheidend ist, sondern vielmehr wie die Person rüberkommt. Der Zuschauer will das Gefühl haben, der Politiker ist nett und offen. Schon deswegen nützt ihm der kleinste Medienauftritt. Die größte Horrorvision ist sicher, in der Endlosschleife bei Stefan Raab zu landen.
VANITYFAIR.DE:
Ein Kanzler oder Minister ohne Medienberater. Ist so etwas in Deutschland überhaupt noch denkbar?
Michael Rossié:
Ja, das ist durchaus denkbar. Ich bin mir nicht sicher, ob etwa Herr Lafontaine Medientrainings wahrgenommen hat. Er kommt trotzdem sehr sicher und sehr souverän rüber. Es gibt durchaus diese Naturtalente. Wenn ich im Elternhaus schon frei reden durfte, wenn meine Eltern das gefördert haben, dann fällt es auch später leichter. Ich würde nie sagen, dass jeder Medientrainings braucht, um einigermaßen bestehen zu können. Für eine Beratung würde mir genügen, dass jemand sagt, dass er sich unsicher fühlt. Das wäre für mich der Zeitpunkt, ein Medientraining zu absolvieren. Oder wenn jemand schon mal in die Falle getappt ist, sollte der sich sagen: Beim nächsten Mal bereite ich mich besser vor.
VANITYFAIR.DE:
Welchen Politiker würden Sie sich gerne einmal vorknüpfen?
Michael Rossié:
Es ist immer einfach zu sagen, Herr Glos, Herr Huber und Herr Beckstein könnte noch an sich arbeiten. Man könnte jenen helfen, die sich unwohl fühlen, die unsicher sind, die unsicher rüberkommen. Wenn ich etwa einen Minister sehe, der vor der Kamera brav seinen Text aufsagt und nickt. Wenn Frau Merkel Journalisten vor sich hat, wissen Sie, was sie als erstes mit denen macht? Sie sortiert sie und sagt, "Sie kommen mal ein Stück nach vorne, und hier machen wir mal ein bisschen Platz." Sie baut sich ihre Jounalisten auf und dann beantwortet sie ihre Fragen. Herr Beck dagegen antwortet ganz brav auf die Fragen, wehrt sich dauernd, rechtfertigt sich dauernd, kämpft dauernd. Ein guter Politiker darf nicht kämpfen, er muss souverän bleiben, denn wer kämpft, verliert.
VANITYFAIR.DE:
Sie haben Herrn Beckstein angesprochen. Er steht kurz vor der Wahl in Bayern, die CSU bangt um ihre Mehrheit. Was macht der Ministerpräsident falsch?
Michael Rossié:
Herr Beckstein kämpft wie ein Löwe. Nehmen wir zum Beispiel den Sonntagstalk mit Herrn Markwort letztens. Da wird ganz gemütlich über Politik geplaudert. Herr Beckstein ist der einzige, der nicht locker sitzt. Er sitzt kerzengerade, legt seine Stirn in Sorgenfalten und reagiert auf jede lockere Bemerkung bierernst. Da würde man am liebsten sagen: Prost, ist doch alles in Ordnung. Wir machen einen Sonntagsstammtisch, und Herr Markwort ist ja nicht unbedingt ein Gegner von Herrn Beckstein.
VANITYFAIR.DE:
Was würden Sie jedem Politiker vor einem Medienauftritt auf den Weg geben?
Michael Rossié:
Das Wichtigste ist, dass er authentisch bleibt. Wenn ich etwa versuche, mich wie Obama zu geben, funktioniert das nicht. Oder weil Herr Strauß immer so schön mit den Händen gefuchtelt hat, tue ich das auch? Blödsinn. Das Schlimmste ist, wenn ich merke, mit welchem Medientrainer ein Politiker trainiert hat. Auffällig ist zum Beispiel, wenn jemand die Hand an der Hosentasche hat, sie aber dann doch nicht hineinsteckt, weil der Trainier gesagt hat, das kommt schlecht an. Oder die Regel für die Hände, die man auf Gürtelhöhe halten soll, weil dort der neutrale Bereich ist. Von solchen Verboten halte ich nichts. Im Gegenteil: Man sollte den Rednern so wenig wie möglich verbieten. Eine Persönlichkeit hat schließlich Ecken und Kanten. Vor allem darf ein Politiker sich nicht jagen lassen. Er sollte er sich auch nicht in Allgemeinplätzen verlieren, sondern Klartext reden. Aus Erfahrung kann ich zudem sagen: Wer andere unterbricht, verschafft sich zwar Redezeit. Am Ende aber entscheiden nicht die Argumente, sondern die Sympathie der Zuschauer für denjenigen, dem das Wort abgeschnitten wurde.
Die Bezeichnung Certified Speaking Professional (CSP) ist eine international anerkannte Qualitätsauszeichnung für Speaker, die besonders hohe Anforderungen an Qualität und Quantität des Speaking erfüllen. Der Titel wird vom amerikanischen Dachverband der Speaker, der National Speakers Association verliehen. Michael Rossié wurde 2013 der zwölfte Deutsche mit diesem Titel. Weltweit sind ca. 10% aller Speaker CSPs.